Wie schon im letzten Jahr organisierte die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) auch 2014 den sogenannte „Akademikerball“, die Nachfolgeveranstaltung des heftig umstrittenen Balls des Wiener Korporationsrings (WKR Ball). Der Ball fand zum wiederholten Mal in der Wiener Hofburg, einem der repräsentativsten Gebäude der Republik Österreich, statt. Er dient vornehmlich der Vernetzung der europäischen Rechten und extremen Rechten. Schlagende deutschnationale Burschenschafter schwingen dort gemeinsam mit ranghohen Vertreter_innen verschiedenster rechtsextremer Vereine und Parteien das Tanzbein. Auch 2014 forderten daher diverse Gruppierungen und Einzelpersonen die Absage des Balles, darunter KZ-Überlebende und die Präsidentin des österreichischen Nationalrats.
Ebenso wird jedes Jahr gegen den Ball demonstriert. Im Rahmen dieser Proteste kam es in der Vergangenheit regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant_innen und der Polizei, die bisweilen ein juristisches Nachspiel hatten. So entschied beispielsweise der VfGH im März 2013, dass die präventive Untersagung einer Protestkundgebung gegen den WKR Ball 2011 durch die Wiener Polizei die Veranstalterin in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art 11 EMRK, Art 12 StGG) verletzt hatte. Der VfGH befand, dass es rechtswidrig sei, bloß aufgrund der allgemeinen Befürchtung, es werde im Fall der Abhaltung einer bestimmten Versammlung möglicherweise zu Ausschreitungen kommen, diese Versammlung zu untersagen. Die Behörde müsse vielmehr ihre Entscheidung aufgrund von „konkret festgestellten, objektiv erfassbaren Umstände“ treffen. Der VfGH steht präventiven Grundrechtseinschränkungen also skeptisch gegenüber. In solchen Fällen muss an Prognoseentscheidungen der Polizei ein strenger Maßstab angelegt werden.
Gleichwohl bediente sich die Polizei aber auch in diesem Jahr extensiver präventiver Mittel, um die von ihr befürchteten Ausschreitungen im Rahmen von Demonstrationen gegen den Ball zu verhindern. Im Zentrum der polizeilichen Maßnahmen standen zwei Verordnungen der Landespolizeidirektion (LPD) Wien: Ein Platzverbot, das etwa ein Drittel des ersten Bezirks, Innere Stadt, umfasste, und ein allgemeines Vermummungsverbot, das für die Wiener Bezirke eins bis neun – also Innere Stadt, Leopoldstadt, Landstraße, Wieden, Margareten, Mariahilf, Neubau, Josefstadt und Alsergrund – galt.
Betreten verboten!
Das Platzverbot, das die LPD Wien gem § 36 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) am 24.1.2014 verhängte, wurde heftig kritisiert. Im Zentrum der Kritik stand die beträchtliche Größe, für die das Betretungs- und Aufenthaltsverbot verfügt wurde. Es umfasste immerhin einen größeren Bereich als die beiden Platzverbote, die anlässlich des Besuchs von US-Präsident Bush im Jahr 2006 und des Akademikerballs 2013 verhängt worden waren. Das Platzverbot stellte nicht nur einen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art 6 StGG) dar, es handelt sich de facto auch um eine schwerwiegende Beschränkung der Versammlungsfreiheit (Art 11 EMRK, Art 12 StGG). Die LPD Wien untersagte eine für den Heldenplatz vor der Hofburg geplante Versammlung mit der Begründung, dass sie für den beabsichtigten Versammlungsort in der Zwischenzeit ein Betretungsverbot erlassen hatte. Anders als noch in den letzten Jahren konnte dort somit keine Kundgebung mehr abgehalten werden. Diesem Vorgehen ist entgegenzuhalten, dass die vom VfGH aufgestellten strengen Anforderungen an präventive Untersagungen von Versammlungen nicht mit einem lapidaren Verweis auf ein (noch dazu von derselben Behörde erlassenes) Platzverbot umgangen werden können. Der Versuch der LPD, sich auf diese Weise aufwändige grundrechtliche Begründungen zu ersparen, hat ein Höchstmaß an Kritik verdient.
Kritisiert wurde daneben, dass das Platzverbot grundsätzlich auch für Journalist_innen galt. Eine Ausnahme gab es lediglich für akkreditierte Berichterstatter_innen, die das Sperrgebiet in einer genau festgesetzten Zeitspanne, nämlich von 20:15 bis 20:45, und nur in Begleitung eines Pressesprechers der Polizei betreten durften. Diese Maßnahme wurde als unzulässige Beschränkung der Pressefreiheit, teilweise sogar als „Zensurmaßnahme“, bewertet.
Winterkleidung verboten?
Noch ungewöhnlicher als das Platzverbot war allerdings das großflächige allgemeine Vermummungsverbot auf Basis von § 49 SPG, das von Freitag, den 24.1.2014, 16:30 bis Samstag, den 25.1.2014, 03:00 für alle öffentlichen Orte in den Bezirken eins bis neun – und damit auf einem Gebiet von ca. 40 Quadratkilometern, in dem über 400.000 Menschen leben – in Kraft stand.
Die Verordnung stellte zwei Verhaltensweisen unter Strafe: Zum einen verbot die Verordnung, dass Menschen ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllen oder verbergen, um ihre Wiedererkennung zu verhindern. Zum anderen war es untersagt, Gegenstände mit sich zu führen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Die Probleme bei der Auslegung und Anwendung der Strafbestimmungen liegen auf der Hand: Fällt das Tragen eines Motorradhelmes oder eines Niqab unter das vom ersten Tatbestand verbotene Verhüllen oder Verbergen der Gesichtszüge? Dem Wortlaut nach sind diese Verhaltensweisen wohl von der Norm umfasst. Für die Strafbarkeit entscheidend ist dann lediglich, ob der Gegenstand aus Gründen der Verkehrssicherheit oder Religion getragen wird oder um die „Wiedererkennung zu verhindern“ – im zweiten Fall liegt eine strafbare Vermummung vor. Wie das Exekutivorgan dieses subjektive Tatelement zuverlässig beurteilen soll, bleibt offen; die Bestimmung lässt erheblichen Spielraum, der geradezu zu diskriminierenden Handeln einlädt.
Auch der zweite Tatbestand, das Mitführen von „Gegenständen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern“ ist unklar: Wie ist ein solcher Gegenstand zu erkennen? Fallen ein Schal oder ein Kapuzenpullover darunter? Kombiniert lassen sie sich wohl zu einer recht passablen Vermummung umfunktionieren. Ist das Wesen einer Sache wetterabhängig; eine Sturmhaube etwa an einem heißen Sommertag anders zu bewerten als an einem kalten Wintertag, wie dem 24.1.2014?
Ohne jedes Maß…
Doch nicht nur die konkrete Anwendung des Vermummungsverbotes bereitet Probleme. Es stellt sich die Frage, ob eine derartige Verordnung nicht schon per se gesetzwidrig ist. Das SPG verlangt nämlich, dass sämtliche Maßnahmen der Sicherheitspolizei verhältnismäßig sind. Das bedeutet insbesondere auch, dass sie erforderlich sein müssen, also das gelindeste zur Zielerreichung führende Mittel darstellen.
Warum im konkreten Fall ein über das in Österreich ohnehin bestehende Vermummungsverbot im Rahmen von Versammlungen hinausgehendes, allgemeines Vermummungsgebot für ein dermaßen großes Gebiet erforderlich gewesen sein soll, bleibt fraglich. Schon aufgrund der Größe des örtlichen Anwendungsbereichs, insbesondere aber in Anbetracht des ohnehin bereits geltenden speziellen versammlungsrechtlichen Vermummungsverbots, das ein gelinderes Mittel im Verhältnis zu einem allgemeinen Vermummungsverbot iSd Verhältnismäßigkeitsprüfung darstellt, hat es die LPD Wien nicht geschafft, überzeugend darzulegen, dass ein allgemeines Vermummungsverbot in den Bezirken eins bis neun tatsächlich erforderlich war. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Verordnung die Möglichkeit bot, von der Durchsetzung des Verbots im Einzelfall abzusehen.
Rechtsschutz mit Hindernissen
Verordnungen, die – wie die hier behandelten Platz- und die Vermummungsverbote – nur kurze Zeit in Kraft stehen, machen außerdem Lücken im österreichischen Rechtsschutzsystem deutlich. Für die/den Einzelne_n gibt es zwei rechtlich durchsetzbare Wege, die Vermummungsverbotsverordnung vom VfGH auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen zu lassen. Die erste Möglichkeit besteht darin, dem Vermummungsverbot zuwiderzuhandeln, um auf Basis der Verordnung bestraft zu werden. Gegen diesen Strafbescheid kann man eine Beschwerde an das zuständige Verwaltungsgericht und anschließend eine Beschwerde an den VfGH erheben. In der Beschwerde an den VfGH kann man schließlich ein Verordnungsprüfungsverfahren anregen. Da dieser Weg allerdings voraussetzt, dass man einen Strafbescheid erhält, ist er selbstverständlich wenig attraktiv.
Die zweite Option, den VfGH dazu zu bringen, eine Verordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen, ist ein Individualantrag (IA) gem Art 139 Abs 1 Z 3 B-VG. Beim IA handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Primär muss die/der Einzelne einen auf Basis der beanstandeten Verordnung ergangenen Bescheid bekämpfen und in der Beschwerde an den VfGH die Verordnungsprüfung anregen. Dieser „Umweg“ ist nach der Rechtsprechung des VfGH allerdings dann unzumutbar, wenn – wie hier – die einzige Möglichkeit einen bekämpfbaren Bescheid zu erlangen, darin bestünde, sich einer Strafe auszusetzen. Darüber hinaus verlangt der VfGH für die Zulässigkeit eines IA, dass die bekämpfte Verordnung sowohl zum Zeitpunkt des Einlangens des IA beim VfGH als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH über den IA in Kraft ist. Bei Verordnungen, die – wie die gegenständliche – nur kurze Zeit in Kraft sind, kommt ein IA also de facto nicht in Betracht, braucht der VfGH doch mindestens drei Monate, um eine Entscheidung zu treffen.
Als einzige Möglichkeit, die Platzverbots- und/oder die Vermummungsverbotsverordnung auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen zu lassen, bleibt dem Individuum also doch nur, sich bestrafen zu lassen – eine aus Sicht des Rechtsschutzes besorgniserregende Situation.
Polizeistaatliche Maßnahmen als Irrweg
In der Nacht des 24.1.2014 kam es aufgrund des Vernetzungstreffens der Rechtsextremen und infolge der durch die großflächigen Platz- und Vermummungsverbote weiter aufgeheizten Atmosphäre schließlich wie es offenbar kommen musste: Unter den 8.000 größtenteils friedlichen Demonstrat_innen waren vereinzelt gewaltbereite Teilnehmer_innen, die in der Wiener Innenstadt (Schau-)fenster einschlugen, Autos demolierten und Steine warfen. Auch die massive Polizeipräsenz, 2.000 Polizist_innen waren aus ganz Österreich angereist, konnte das nicht verhindern. Insgesamt ist stark zu bezweifeln, ob der von der Polizei bereits im Vorfeld eingeschlagene Weg der Eskalation unter Heranziehung (auch rechtlich) höchst fragwürdiger Maßnahmen der richtige war. Es ist erschreckend, wie schnell die Polizei zu massiven Einschränkungen der Grundrechte auf Presse- und Versammlungsfreiheit greift, unverhältnismäßige Platz- und Vermummungsverbote erlässt und den Exekutivorganen mittels unklarer Strafbestimmungen weitreichende Ermächtigungen zu polizeilichem Einschreiten erteilt.